Bilderbuchsommer

„Das war ein richtiger Scheiß-Sommer!“ Irgendwann Ende August, als ich realisierte, dass der Sommer fast vorbei war und nur noch ein paar Tage davon übrig waren, stand ich frustriert in unserem Wohnzimmer. „Warum?“, Fragte mein Mann und nach einer ganzen Reihe von Aufzählungen- krank im Urlaub, die blöde Hausarbeit im Hinterkopf, zu Anstrengungen, die ich seit dem Frühjahr mitgeschleppt hatte, brach es endlich heraus: „Ich wollte, dass meine Kinder im Garten Brombeeren naschen, Flöße (auf unserem nicht vorhanden See) bauen, bis in die Nacht am Lagerfeuer sitzen und mit ihren Freunden Hütten bauen!“. Mein Mann fing an zu lachen und holte mir einen Kaffee und meinte dann: „ Aber unsere Kinder wollen gar keine Hütten und Flöße bauen, sondern Comic lesen, ausschlafen und ihre Freunde treffen!“.

Mich hat dieses Gespräch lange nicht losgelassen. Was ich wollte, war ein richtiger Bullerbüsommer.  So wie ich ihn aus Kinderbüchern und den Instagramkanälen kenne. Und natürlich weiß ich, dass das eine erfunden und das andere oft inszeniert ist …. Und doch sitzt dieses Bild in mir so richtig tief. Dass wir zusammen Erdbeeren im Garten pflücken, Marmelade kochen und mittags auf frisch gebackene Hefezöpfe streichen. Und das, obwohl jeder der schon mal mit Kindern Marmelade gekocht hat, weiß, dass meistens nicht viele Beeren zum Kochen übrig bleiben und Hefezopf backen mit Kleinkindern meist im völligen Chaos endet und man hinterher die Küche renovieren kann.

Und trotzdem war ich frustriert. Denn ich wollte meinen Kindern so gerne… ja was eigentlich?

Mittendrin in meinem Frust, als sich dann der Herbst ankündigte, bin ich auf ein kleines Büchlein gestoßen. Und manchmal, da schickt mir Jesus Bücher, wenn er merkt, dass ich lange mit einer Frage hadere. Und dann fühlt es sich so an, als ob es nur für mich geschrieben wäre und ich finde Antwort auf Dinge, die mich schon lange umtreiben. Wie mein Wunsch nach Bullerbü, der mich besonders im Sommer jedes Jahr aufs Neue einholt.

Lars Mandelkow schreibt in seinem Buch „Der Bullerbü Komplex“ davon, dass Bullerbü ein Sehnsuchtsort ist „nach dem Heilen in einer Welt voller Unheil“. Dort, wo alles „angefüllt mit schönen Bildern von glücklichen Kindern und einem einfachen, sinnvollen Leben“ ist und die Welt noch irgendwie in Ordnung.

Er erzählt davon wie Bullerü-Bilder längst unseren Alltag überfluten- von der Werbung für Hautpflegecreme über Kinderbücher und Filme ganz geschweige von den sozialen Medien. Die Bilder erzählen davon, wie eine „gute Familie“ sein soll und so oft scheitern wir an diesen Traumbildern.

Denn was Bullerbü nicht erzählt, sind die täglichen großen und kleinen Herausforderungen. Krankheiten, Frust, Ungleichheit, Mental Load, das Ringen um Sinnfragen, einen guten Umgang mit Arbeit, Erziehungsschwierigkeiten und Eheprobleme, soziale Medien- das alles gibt es in Bullerbü nicht.

Und weil man Idealvorstellungen und Sehnsuchtsorte so schwer erreicht, scheitern wir. „Wir scheitern an aktuellen Aufgaben und wir scheitern zusätzlich an unseren Idealbildern. (…) Dann kommt das Gefühl auf, etwas grundsätzlich falsch zu machen.“

Wie sehr fühle ich diese Worte!

Und dann erzählt Lars Mandelkow von der Kunst, es gut sein zu lassen. Im Alltag mit all seinen tatsächlichen Herausforderungen lernen das Gute zu sehen und das Leben mit all seinen Ecken und Kanten gut sein zu lassen. „Dort nämlich im zerbrechlichen lebendigen Alltag wächst die Gnade.“

Manchmal da überkommt sie mich immer noch- die Sehnsucht nach Bullerbü. Ein paar Tage später waren mein Mann und ich im Garten mit unserer kleinen Tochter. Wir pflückten Himbeeren und sie naschte so lange bis ihr Mund Himbeerrot verschmiert war. „Na, hast du dir das so vorgestellt?“, meinte mein Mann lachend, „das ist doch ein Bullerbü Sommer!“. Kurz war ich versucht Fotos zu machen und sie zu einem idyllischen Bilder-Buch-Sommer-Reel ala Bullerbü zusammenzuschneiden und mit bewegender Musik zu unterlegen. Aber viel anders als die anderen Tage, wo wir uns mittags schwitzend in der dunklen Wohnung versteckt hatten oder ins Hallenbad fuhren (weil den Kindern bei 35 Grad das Freibad zu kalt war) hat sich dieser Nachmittag auch nicht angefühlt.

Und ganz neu habe ich beim Lesen dieses Buches und beim Ringen mit diesem Thema gemerkt, wie wertvoll mir mein Glaube an einen Gott geworden ist, der nicht in unsere heile (Schein-)Welt, sondern in unseren Alltag mit all seinen Herausforderungen, Fehlern und Probleme kam. In das wirkliche Leben und nicht in das, wie ich denke, dass mein Leben aussehen sollte.

Und vielleicht ist das ja auch eine gute Nachricht. Das wir garnicht nach Bullerbü müssen. Dass wir hier in unserem lauten, chaotischen, überfordernden, ganz stinknormalen Alltag mit all seinen Wundern, aber auch mit den Abgründen und Herausforderungen Gnade finden.

Oder wie Lars Mandelkow sagen würde: „Keine Sorge: In den Winkeln und Brüchen unserer Lebenswelt versteckt sich doch mehr Glück, als wir vermuten.“

Und vielleicht brauchen wir garnicht immer einen Bilderbuchsommer.

3 Gedanken zu: Bilderbuchsommer

  1. Doch, so ein bisschen Bullerbü gibt es schon! Ich habe es so in meiner Kindheit der späten 60er und Anfang der 70er Jahre erlebt. Aber neben der Idylle, mussten wir Kinder auch viel helfen. Z.B. im Sommer schwarze Johannisbeeren pflücken – nicht einen Busch, sondern vielleicht 40 Büsche. Und das auch bei Hitze. Da habe ich schon manchmal ein Mädchen (Einzelkind) aus der Nachbarschaft beneidet, die mit dem Flieger nach Spanien flog um dort im Ferienhaus 3 Wochen Urlaub zu machen. Es gibt bei Bullerbü also auch Schattenseiten. Nichts desto trotz – eine fast unbeschwerte Kindheit ist Gold wert!!

  2. Hallo liebe Anne
    Danke für deinen Blogpost mit den richtigen Worten zur richtigen Zeit.
    Ich finde den Herbst nämlich auch grade Sch…… Hier sind 3 Wochen Herbstferien, die ich mir auch anders vorgestellt habe. Ich habe an einen goldenen Oktober und ein paar schöne Tage im Schwarzwald gedacht. Die Realität ist Regen und kein Schwarzwald und dahin plätschernde Tage zuhause mit dem Gefühl nichts richtiges zu machen.
    Danke für den anderen Blickwinkel und liebe Grüsse
    Iris

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