Schöne Bilder und die ganze Geschichte

Spätestens seit dem Start der Pfingstferien schwappen auch wieder jede Menge schöne Bilder in mein Handy. WhatsApp Status, Instagram und Co. zeigen mir, was all meine Freunde, Bekannten und völlig Fremden gerade erleben.
Und eigentlich könnte mir das ziemlich egal sein. Ist es aber leider nicht. Denn mit dem Sommer kommt auch das Gefühl, etwas Tolles erleben zu müssen.
Und so mache ich mich selbst ziemlich verrückt, weil die Bilder, die ich sehe, mir einreden, dass gerade ALLE die Zeit ihres Lebens haben. Während ich daheim sitze, arbeiten muss oder am Wochenende so erschöpft bin, dass an einen Ausflug nicht zu denken ist.
Alle sind im Urlaub.
Alle machen tolle Ausflüge.
Alle fahren ins Freibad oder an den Badesee.
Alle halten Lesungen oder tolle Workshops.
Oder sind auf andere Art und Weise total erfolgreich.
Alle. Außer ich.

Manchmal machen mich sogar Bilder von Dingen verrückt, die ich selbst gar nicht erleben möchte. Wandern in den Bergen oder Urlaub in Dänemark zum Beispiel. Und neben der Angst, etwas zu verpassen, kickt ganz besonders das Gefühl, eine schlechte Mutter zu sein, weil meine Kinder nicht im Urlaub sind und keine Ausflüge machen.
Während ich also mit schlechtem Gewissen ins Praktikum oder an die Hochschule fahre, sitzen die Kinder daheim und leben ihren persönlichen Traum von Ferien. Ausschlafen, Freunde treffen, Pokémonkarten tauschen und mehr Medienzeit als sonst.
Als wir dann am Wochenende zu einem großen Familienausflug aufbrechen, mit Kanutour und riesigem Picknick, wird das erst mal mit „Ähhh, kein Bock“ quittiert, obwohl es am Ende dann doch „ganz okay“ war.

Das Verrückte dabei ist ja, dass ich weiß, dass all das nur Momentaufnahmen sind.
Dass ich mein ganzes Leben mit den besten Momenten vieler Hundert anderer vergleiche.
Dass ich weiß, dass dieses Vergleichen völlig bescheuert ist und ich trotzdem nicht damit aufhören kann. Weil das automatisch passiert und ich nicht genau weiß, wie das mit dem Aufhören geht. Jedenfalls nicht genau.
Und dass ich Teil des Problems bin. Denn auch ich poste hübsche Bilder.
Manchmal, um einfach meinen Tag zu teilen, weil daraus oft Verbindung oder schöne Gespräche entstehen. Manchmal aber auch, um anderen und vor allem mir selbst zu zeigen, dass ich auch ein tolles Leben habe.

Was ist das also? Dieses schlechte Gewissen, die Angst, etwas zu verpassen, der Druck, auch etwas erleben zu müssen? Woher kommt das Gefühl, dass mein Leben nicht genügt, wenn ich sehe, was all die anderen machen?
Dass mein Leben klein und zu wenig ist?

Die letzten Wochen habe ich mir diese Fragen oft gestellt.
Antworten habe ich darauf noch keine gefunden.
Aber etwas, das mir sehr hilft.
Ein Abend mit Freundinnen am Lagerfeuer.
Ein kurzes Gespräch nach dem Gottesdienst.
„In-Echt“- Begegnungen.

Wenn wir uns trauen, nachzufragen und ehrlich zu erzählen. Wenn wir die ganze Geschichte hinter den tollen Bildern hören. Die Freundin auf den Traumurlaub ansprechen und dann erfahren, wie er wirklich war. Wenn wir die Kämpfe sehen und die Kosten hinter den Erfolgen. Die langen Autofahrten und die ganz normalen Familienstreits. Die heulenden Kinder auf dem Ausflug. Und wir dabei seufzen und mitfühlen und uns auf einmal ganz normal und weniger alleine fühlen.

Vielleicht muss mein Leben gar nicht größer oder besser werden.
Vielleicht reicht es, manchmal, die ganze Geschichte zu hören.
Und Menschen die bereit sind sie zu erzählen.

3 Gedanken zu: Schöne Bilder und die ganze Geschichte

  1. Unsere Mutter hatte immer den Spruch: „Schaut an die hin, denen es schlechter geht“. Das hilft mir immer wieder (auch heute noch, 38 Jahre nach ihrem viel zu frühen Tod).
    Wir hier im Westen haben doch eine super Lebensqualität verglichen mit den meisten Menschen auf dieser Welt. Wir müssen uns nicht um das nächste Auskommen sorgen, die Supermärkte sind mit einer riesigen Auswahl an Lebensmitteln gefüllt, während andere auf dieser Welt darben. Das alles dürfen wir nicht vergessen!!
    Und auch ich bin manchmal neidisch auf eine Freundin, die öfters über’s verlängerte Wochenende wegfahren kann. Das kann ich mir z.B. finanziell nicht leisten, dafür habe ich Anderes. Und es gibt dann auch immer wieder einen Ausgleich, wenn ich dann was Schönes erleben darf. Es gibt einen schönen Spruch, der lautet wie folgt:
    „Wenn wir nicht ständig hinter dem Glück herjagen würden, könnten wir das schönste Leben haben“. – Zitat von Edith Wharton (1862-1937)
    Vielleicht sollten wir uns immer wieder an das halb volle Glas erinnern, um dann zu bemerken, da ist ja noch viel mehr Gutes!! Womit hab ich all das verdient???

  2. Hallo,ich finde es wunderschön es mit lesen zu können und mich auch in den Geschichten ein Teil wieder zu finden.Die Geschichten sind Ermutigung ,man kommt ins Nachdenken ,jedenfalls geht es mir so und es ist total spannend es mit zu verfolgen.Freue mich auf mehr dieser Impulse und bin für jeden einzelnen dankbar.Weiterhin Gottes reichen Segen und Gott anbefohlen. Be blessed Katrin

  3. Ach liebe Anne – danke für diesen wunderbaren Text! Und ich musste lachen – der Traumurlaubstag deiner Kinder: „Ausschlafen, Freunde treffen, Pokémonkarten tauschen und mehr Medienzeit als sonst.“ Genau so ist das auch bei uns (nur dass es Fussballkarten sind ). Danke, dass du hier immer wieder die ganze Geschichte erzählst. Das bringt mich zum Aufatmen. Mein TAg bis hierher: Kind anmotzen. Stecker von der Playstation ziehen. Genervt Fotos sortieren. Total unmotiviert ein Gymnastikvideo auf youtube mitmachen (Weil der Rücken wehtut) bei dem die nette Frau zum Schluß sagt: „Vielleicht musstest du ja sogar ein wenig schwitzen! Ich hoffe es hat dir Spaß gemacht!“ Hat es nicht. Und ich bin total verschwitzt. Jetzt geh ich in den Garten, mit meinem Mann streiten. Ich glaube ich schicke heut kein Statusfoto :-). Liebe Grüße!!!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert